Diese Handschrift ließ Johann Walter im Auftrag des Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen (1503-1554) nach der Einweihung der neuen Schlosskapelle auf Schloss Hartenfels in Torgau 1544 für den dortigen Gebrauch erstellen. Sie enthält nicht nur eigene Werke Walters, sondern das von ihm zusammengestellte "mehrstimmige liturgische Repertoire, das um 1550 im protestantischen Mitteldeutschland in den Gottesdiensten mit Figuralmusik gebraucht wurde". Walter nahm die Handschrift im Zuge des Schmalkaldischen Krieges an sich und brachte sie 1553 nach Jena. Von dort gelangte sie in die Privatbibliothek des Sohnes von Kurfürst Johann Friedrich I., Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen (1529-1595), der auf der Festung Grimmenstein in Gotha residierte. Als Johann Friedrich II. nach ungeschickter Politik in die so genannten Grumbachschen Händel verstrickt wurde, in kaiserliche Gefangenschaft geriet und die Burg Grimmenstein 1567 geschleift wurde, kam die Handschrift zusammen mit der herzoglichen Bibliothek nach Weimar und 1574 in die Universitätsbibliothek Jena. 1590 schließlich wurde sie durch einen der Söhne Johann Friedrichs II., Herzog Casimir von Sachsen-Coburg (1564-1633), nach Coburg überführt. Dort wurde sie durch Herzog Albrecht von Sachsen-Coburg (1648-1699) dem Gymnasium Casimirianum geschenkt.
Dessen Rektor, der Theologe Ernst Salomon Cyprian (1673-1745), wechselte 1713 von Coburg an die Herzogliche Bibliothek Gotha, deren Direktor er wurde. Im Auftrag Herzog Friedrichs II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1676-1732) versucht Cyprian die Handschrift zu erwerben mit der Begründung "dazu wir die übrigen Stück hier haben". Seit 1714 schließlich ist sie, nach 170 Jahren "Wanderschaft", in der Herzoglichen Bibliothek Gotha nachgewiesen und wird seit dieser Zeit als 'Gothaer Chorbuch' bezeichnet.
Das 'Gothaer Chorbuch' wurde 1946 mit den etwa 330.000 Bänden der Herzoglichen Bibliothek als Beutegut des Zweiten Weltkrieges in die Sowjetunion verbracht und kehrte 1956 nach Gotha zurück. [Nach: Paasch 2012 - vgl. Literatur].
Literature:
Walter Blankenburg: Die verschlungenen Schicksalswege des Codex Gothanus Chart. A. 98. Ein kleines, absonderliches Kapitel thüringischer Bibliotheksgeschichte. In: Dorfmüller, Kurt (Hg.): Quellenstudien zur Musik. Frankfurt 1972, S. 35-40.
Herbert Oppel: D. Ernst Salomon Cyprian, Direktor des Gymnasium Casimirianum Academicum zu Coburg (1700-1713), und sein Briefwechsel mit Gottfried Wilhelm Leibniz. In: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 23 (1978), S. 35-82.
Kathrin Paasch (Hrsg.): "Mit Lust und Liebe singen": die Reformation und ihre Lieder. Begleitband zur Ausstellung der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha in Zusammenarbeit mit der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, 5. Mai bis 12. August 2012, Gotha 2012, S. 80.
Armin Schneiderheinze: Johann Walter und die Musik der Reformation. Katalog zur Ausstellung im Lutherjahr 1996. Torgau 1996.
Joachim Stalmann: Johann Walter (1496-1570). In: Hochstein, Wolfgang und Krummacher, Christoph (Hgg.): Geschichte der Kirchenmusik in 4 Bänden. Darmstadt 2011, S. 335-337.